Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Bruder Klaus und die Jakobspilger
  
   Wenn im 15. Jahrhundert, in der Zeit als Bruder Klaus im Ranft wohnte, das Wort «Pilger» gebraucht wurde, dann war damit eigentlich immer nur ein besonderer Typus Mensch gemeint, einer der unterwegs war von oder nach Santiago de Compostela in Galicien, ein Jakobspilger also. Wie war nun Bruder Klaus in das Pilgerwesen seiner Zeit integriert? War er nicht zeitweise selber ein Pilger? Und dann Berater und Seelsorger der Pilger?
  
St. Niklausen in ObwaldenHolzschnitt: Jakobspilger
  
Oben: Holzschnitt aus dem Buch «Die Strassen und Meilen zu St. Jakob» von Hermann Künig von Vach. Der Jakobspilger ist an zwei Symbolen erkennbar: Muschel und gekreuzte Krücken.
  
Rechts: St. Niklaus zu den Bänken – Hier kam auch Hans von Waldheim, ein Pilger aus Halle in Sachsen, im Frühjahr 1474 vorbei, als er Bruder Klaus im Ranft besuchte und über den Einsiedler wichtige Einzelheiten in seinem Reisetagebuch notierte.
   
Im 15. Jahrhundert gab es ein ganzes Netz von Pilgerwegen quer durch Europa, quer durch die Schweiz. Mit dem Schiff gelangte man entweder nach Buochs am Bürgenstock oder zur Landungsstelle Rotzloch am Alpnachersee und von diesen Orten aus hinauf zum Ennetmoos, wo schon früh eine St. Jakob-Wallfahrtskapelle stand. Dann ging der Weg weiter nach Kerns und nach St. Niklaus zu den Bänken und schliesslich in den Ranft zu Bruder Klaus. Die lange Reise führte dann weiter nach Sachseln, dem Sarner See entlang hinauf nach Lungern und zum Brünigpass.
  
Der Jakobspilger Hans von Waldheim aus Halle
  
Der sächsische Junker Hans von Waldheim stieg im Mai 1474 von der alten Kirche St. Niklausen aus in die Melchaaschlucht hinab und ging dann zur Zelle von Bruder Klaus. Von dieser Begebenheit und dem damit verbundenen Gespräch mit dem Eremiten im Ranft macht Waldheim Notizen in sein Reisetagebuch (Quelle 009), dieses zählt mittlerweile zu den wichtigsten und zuverlässigsten historischen Quellen über Bruder Klaus.
     
Hans von Waldheim spricht mit Bruder Klaus auch über seine Pilgerreise, er erzählt von Wallfahrtsorten in Südfrankreich, vor allem auch im Zusammenhang mit einer Lieblingsheiligen des Eremiten: Maria Magdalena. Da Einträge in Tagebüchern normalerweise nicht allzu lang sind, der Pilger aus Sachsen und der Waldbruder jedoch so viel miteinander zu besprechen haben, geht die Nennung des Zieles der Reise des Mannes aus Sachsen völlig vergessen. Es ist anzunehmen, dass er nicht nur in Südfrankreich war, sondern vor allem im damals wichtigsten Wallfahrtsort in Europa: Santiago de Compostela, wo sich die Gebeine des Apostels Jakobus des Älteren befinden sollen – oder dass er zumindest einmal daran dachte, dorthin zu gehen. – Das vollständige Reisetagebuch Waldheims wurde neu editiert: Friedrich Emil Welti (Hrsg.), «Die Pilgerfahrt des Hans von Waldheym im Jahre 1474», Bern 1925.
  
Bruder Klaus wollte selber auf eine Pilgerreise gehen
  
Einmalig für die biographischen Erkenntnisse über Bruder Klaus ist die Aussage in Waldheims Reisetagebuch: «Man muss sich merken, dass Bruder Klaus von seiner Frau im Jahre 1467 nach Christi unseres Herrn Geburt, am Sankt-Gallus Tage, wegging. Bruder Klaus nahm Abschied von seiner Frau in der festen Meinung, sich ins Ausland zu begeben und als Pilger von einer heiligen Stätte zur anderen zu wandern. Nun geschah es, als er mit diesem Vorsatz von seiner Frau wegging und in Richtung Basel wanderte, da hatte Bruder Klaus von Gott ein Gesicht, eine Offenbarung und Mahnung, so dass er vor Basel wieder umkehrte und nach Unterwalden zurückging, zu seinem Anwesen.» – oder anders übersetzt: «Bruder Klaus schied von seiner Frau in der festen Meinung, sich zu verelenden und als Wallbruder von einer heiligen Stätte zu der anderen zu wandern ...» - Eine andere Quelle, das Sachsler Kirchenbuch (Quelle 053) berichtet dreimal (Aussagen von Erny Rohrer und der beiden Pfarrer von Stans und Kerns) davon: Er wollte in das «elend gan» und sei dann kurz vor Liestal (Baselland) umgekehrt.
     
«elend» bedeutetet in der Sprache des Mittelalters soviel wie «Ausland» und darüber hinaus noch mehr das Reisen in fremden Ländern, was oft mit verschiedenen Gefahren und dem Erleiden von Notlagen verbunden war. «Wer das Elend bauen will», so lautete der Titel eines Pilgerliedes jener Zeit.
     
Wohin wollte Niklaus von Flüe als Pilger reisen? Man darf annehmen, dass er das Obwaldnerland über den Brünig verliess und als ersten Wallfahrtsort die Höhlen von St. Beat oberhalb des Thunersees besuchte. Das Berner Münster galt damals als Wallfahrtsort in Bezug auf den Diakon Vinzenz von Saragossa (†304) und war auch für Jakobpilger wichtig. Angeblich wurde hier dessen Haupt verehrt. Bern war auch eine Station der Pilgerreise des Junkers Hans von Waldheim aus Halle an der Saale. In seinem Reisetagebuch (Quelle 009) wird zudem Adrian von Bubenberg erwähnt: «In Bern ist das Haupt von Sankt Vinzenz, und in der Stadt wohnen viele Ritter und Knechte, nämlich … Ritter Adrian von Bubenberg …» – Als Klaus von Flüe am Freitag, 16. Oktober 1467, zu seiner Pilgerreise aufbrach, zog er vermutlich über den Brünigpass und besuchte zunächst die Beatushöhlen über dem Thunersee. Die nächste Station dürfte der Wallfahrtsort St. Vinzenz in Bern gewesen sein. Nicht auszuschliessen ist, dass er bei dieser Gelegenheit zugleich auch Adrian von Bubenberg in dessen Palais getroffen hatte. Dann schwenkte der Pilger Klaus ab nach Norden, wahrscheinlich zum damals sehr wichtigen Marienort Büren an der Aare, und überquerte schliesslich den Hauenstein. Vor Liestal kehrte er um. Warum ging er nach Norden? Diese Frage lässt sich beantworten im Zusammenhang mit der grossen Neigung Niklausens zur Meditation des Leidens Jesu, der Passion Christi. Ein Ziel hätte darum irgendwann Trier sein müssen mit dem «Heiligen Rock», dem Kleid Jesu, um das die Soldaten unter dem Kreuz das Los warfen. Von hier aus wäre er vermutlich nach Aachen und dann auf die sogenannte «Untere Strasse» der Jakobspilger gelangt. Diese führte über verschiedene Pilgerorte in Frankreich schliesslich nach Süden mit dem Endziel: Santiago de Compostela in Galicien.
     
Die Jakobspilger redeten einander mit «Bruder» an. Es ist anzunehmen, dass Niklaus von Flüe den Ehrentitel «Bruder» nicht deswegen erhielt, weil er ein Eremit wurde, sondern weil er zuerst ein Pilger geworden war –, Waldheim nennt ihn diesbezüglich deutlich «walbruder» (also nicht «waldbruder»).
     
Manch einer brach auf zur langen Pilgerreise, quer durch ganz Europa, und keiner wusste, ob er jemals wieder nach Hause zurückkehren wird. Darum war allein schon der Abschied von der Familie ein dramatisches Ereignis. Wenn nun Niklaus von Flüe als Wallbruder (= Pilger) Frau und Kinder verliess, war dies in der damaligen Zeit und in diesem Zusammenhang überhaupt nichts Aussergewöhnliches.
  
«Eultreia» – der Kriegsruf der Jakobspilger
     
Der Anfeuerungsruf der Jakobspilger lautete in Kurzform: «Eultreia» oder je nach sprachlicher Färbung «Ultreia». Dieser Ruf fand sich auch in verschiedenen Pilgerliedern wieder. Was bedeutet nun dieses rätselhafte Wort? Einen Sinn ergibt es nur im Kontext der griechischen Sprache: «eulatreia» – die Vorsilbe «eu-» bedeutet «gut», «latreia» (kommt auch im Neuen Testament vor) bedeutet «Dienst» bzw. «Gottesdienst». «Guter Dienst!» – die Pilgerreise wurde als ein einziger Gottesdienst verstanden.
    
Holzschnitt - J. Stumpff
Bruder Klaus und der Jakobspilger. Holzschnitt aus der Chronik von
Johann Stumpff, Zürich 1548, 1. Ausg., 5. Buch, II. Cap., fol 3v
     
Bruder Klaus als Berater und Seelsorger der Jakobspilger
     
Als weitherum bekannt wurde, dass im Ranft ein heiliger Mann lebte, wollten ihn auch die Jakobspilger besuchen. Bruder Klaus hatte die Gabe, mit einfachen Worten anderen Menschen raten und helfen zu können. Wieviele Jakobspilger erhielten von ihm ein solches gutes Wort? War Bruder Klaus für sie so etwas wie ein Seelsorger, ein Helfer und zugleich eine erfreuliche Abwechslung auf der langen, beschwerlichen und gefahrvollen Reise nach Spanien? – Ein Holzschnitt in der Chronik von Johann Stumpff (Zürich 1548, 1. Ausg., 5. Buch, II. Cap., fol 3v, siehe Quelle 240) stellt ein solches Zwiegespräch zwischen Bruder Klaus und einem Pilger dar. Allerdings ist der Schnitt eine Nachbildung des ersten Holzschnittes im sogenannten «Pilgertraktat» von 1487 (Quelle 048 – hier nur der Eremit ohne Pilger, die Umgebung und die Haltung des Waldbruders sind jedoch frappant ähnlich); der Fremde hält in der Hand einen Hut mit den Emblemen (Pilgerabzeichen) Muschel und gekreuzte Krücken.
     
Der älteste Buchdruck (Augsburg um 1488 und Nürnberg 1488) über den Eremiten im Ranft trägt den Titel: «Bruoder Claus». Dem Inhalt nach wurde er von einem «ehrsamen Pilger» geschrieben, der im «elend» weilte und die Stätte der Gnade besuchte. Darum heisst dieser Text auch «Pilgertraktat» (Quelle 048). Der Fremde berichtet über ein Gespräch mit Bruder Klaus mit dem Schwerpunkt: Das Rad – das «buoch», das Meditationsbild des Einsiedlers. Der weitaus grössere Teil des Druckwerks besteht jedoch in einer Abhandlung (=Traktat) über die Ausübung der Werke der Barmherzigkeit.
       
Holzschnitt: Fremde beherbergen  Holzschnitt: zu essen geben

Zwei Holzschnitte aus dem sogenannten «Pilgertraktat» (um 1488) über die Werke der Barmherzigkeit, Fremde beherbergen (links) und Hungrige Speisen etc. (rechts). Der Empfänger des barmherzigen Werkes ist hier jeweils ein Jakobspilger (Muschelemblem am Hut).

    
Der Garantie-Vertrag der Pilger
     
Der anonyme Pilger (vermutlich war es Heinrich Gundelfingen) setzt im grossen zweiten Teil seiner Abhandlung die Maxime: Die Reichen müssen den Armen helfen; dafür müssen diese für die Reichen beten und werden so zu ihren Wohltätern. Wer waren nun konkret die Armen, die hier gemeint sind? Zwei Holzschnitte im Buch «Bruoder Claus» (Pilgertraktat, um 1488) geben einen näheren Hinweis. Der Empfänger des barmherzigen Werkes, Fremde beherbergen und Hungrige-Durstige speisen, ist hier jeweils ein Jakobspilger (erkennbar am Muschel-Abzeichen am Hut). Von der christlichen Moral bestand nun so etwas wie ein Gesellschaftsvertrag zwischen Armen und Reichen, aber darüber hinaus auch zwischen den Pilgern und den sesshaften Menschen des christlichen Glaubens. Der «Pilgertraktat» ist darum geradezu auch eine Werbung für das helfende Verhalten gegenüber den Pilgern, die oft hilflos, mittellos waren, ausgeraubt wurden, kein Geld für Nahrung mehr hatten, krank wurden oder starben (Tote begraben). Es kam auch vor, dass die Pilger fälschlich eines Verbrechens beschuldigt, eingesperrt oder sogar auch hingerichtet wurden; gerade auch ihnen gegenüber musste in Barmherzigkeit gehandelt werden (Gefangene trösten). - Ein Beispiel für ungerechte Verurteilungen war die Erzählung vom «Galgenwunder», durch Bildzyklen dargestellt an den Jakobskapellen in Bösegg (bei Willisau) und Tafers (Fribourg), beide Kapellen liegen an Jakobswegen. Auch an einem Jakobsweg liegt die Maria-Hilf-Kapelle in der Rengg (bei Alpnachstad, Obwalden); hier war früher die Fessel zu sehen, Gegenstand einer Erzählung von einer wunderbaren Rettung eines Pilgers, der in der Fremde gefangen war.
     
Zentraler Ausgangspunkt der Abhandlung war für den Verfasser des Pilgertraktats das gemalte Meditationsbild von Bruder Klaus, in dem (bzw. in den äusseren Medaillons, siehe im Beitrag: Das Sachsler Meditationstuch) diese Werke der Barmherzigkeit symbolisch angedeutet wurden: Brot und Krug für Hungrige Speisen, gekreuzte Krücken für Kranke pflegen usw.
     
Um 1140 entstand «das Buch des hl. Jakobus» (Liber Sancti Jacobi), darin werden sogenannte «Strafwunder» erzählt über Menschen, welche den Pilgern nicht geholfen haben (4. bzw. 5. Buch, Kap. 11), ein Beispiel: In Villeneuve (es gibt mehrere Städte mit diesem Namen) bat ein armer Pilger eine Frau, die gerade unter der heissen Asche ein Brot backte, um ein Almosen. Die Frau verweigerte es ihm und gab zur Antwort, sie hätte kein Brot. Als der Pilger weitergezogen war und die Frau das fertige Brot aus der Asche holen wollte, war es in Stein verwandelt.
  
Die Jakobspilger am Grab von Bruder Klaus
  
Nach dem Tod von Bruder Klaus, am 21. März 1487, wurde für die Pilger sogleich das Grab in Sachseln zu einer sehr wichtigen Stätte der Wallfahrt. Wie auch an anderen Wallfahrtsorten an den Jakobswegen (zum Beispiel Beinwil bei Muri, Fischingen im Hinterthurgau) wurde auch das Grab von Bruder Klaus oft aufgesucht in der Hoffnung auf Heilung bei schlimmen Beinkrankheiten. Eindrücklich berichtet bereits 1488 das Sachsler Kirchenbuch von einem Pilger aus Dänemark, der ein Hering-Fischer am Öresund war (Quelle 053). Er hatte ein krankes, gelähmtes und krummes Bein und unternahm deswegen 1487/88 eine Wallfahrt zum fernen heiligen Jakob, also nach Santiago de Compostela. Er kam zwar dort an, hatte jedoch keinen Erfolg (Dieselben fartt tett er, sy beschouss aber nit). Im Traum wurde er dazu angehalten, das Grab von Bruder Klaus in Sachseln aufzusuchen. Hier wurde er geheilt. Die späteren Biographen von Bruder Klaus, 1501 Heinrich Wölflin (§43, Quelle 053) und 1521 Sebastian Rhaetus (§29, Quelle 221) erzählen ebenfalls von diesem Ereignis. Bei Wölflin ist die Rede von einer Wallfahrt zum «divinum Jacobum in Compostellam Galiciae» (göttlichen, bzw. heiligen Jakobus in Compostela in Galicien = Santiago de Compostela). Der Däne war also bereits in Santiago und hörte dort aus dem Mund anderer Pilger von Bruder Klaus in der Schweiz. Auf dem Hinweg ging er ziemlich sicher nicht zu Fuss durch die Schweiz, sondern mit dem Schiff bis nach Spanien. Aber den Rückweg machte er zu Fuss und kam über den Brünig nach Sachseln. – In der späteren Version von Rhaetus (1521), schaffte der dänische Fischer die Reise nach Santiago nicht und ging stattdessen zum Grab von Bruder Klaus; diese Version ist jedoch den Umständen entsprechend bedeutend weniger wahrscheinlich.
   
In Sachseln wurde erst 1560, als die Jakobspilgerei in schlechten Ruf gekommen war, von heimgekehrten Santiagopilgern eine Jakobsbruderschaft gegründet.
     
Werner T. Huber, Dr. theol.
  
Weiterführende Links:
  
Zur Geschichte von Santiago und der Jakobspilgerei
  
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Schweizer Jakobs-Pilger
  
     
  
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