Holzschnitt 1510
    
Niklaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Quellen - Bruder Klausund Dorothea
  
  
Der Rechtsgelehrte Petrus Numagen
  
Quelle Nr. 034

  

  
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Zeit: ca. Juli 1483
  
Herkunft: Zenralbibliothek Zürich C.99 (35 Blätter in einem Sammelband mit Holzdeckel und Lederrücken)
  
Kommentar: Etwas krass und für das heutige Empfinden reichlich befremdend wirkt die Abhandlung von Petrus Numagen über Bruder Klaus aus dem Jahre 1483, der in späteren Jahren in Zürich als Kaplan am Grossmünster sowie als Schreiber und Notar wirkte. 1482 trat er als Sekretär des legendären Erzbischofs von Kraina Andreas Camaj (auch «Zamometić» genannt, 1420 in Kroatien geboren) in Erscheinung, der seinerseits früher mit Papst Sixtus IV. (Francesco della Rovere) befreundet war und in übermütiger Weise ein neues Konzil in Basel anstrebte, wo der Papst hätte abgesetzt werden sollen. Der Erzbischof wurde in Basel verhaftet und beging am 13. November 1484 Selbstmord um der Auslieferung an die päpstliche Justiz zuvorzukommen. – Die Schrift Numagens über Bruder Klaus ist recht lang geraten, sie enthält viele Abschweifungen in Form von Rechtsbelehrungen mittels historisch-rechtlichen Vergleichen. Dennoch sind die Ausführungen Numagens in gewisser Hinsicht wertvoll, besonders seine Darlegungen hinsichtlich des damaligen Eherechts. Denn gerade die sehr strenge Haltung der Kirche im Hinblick auf die Ehe kann schliesslich in geradezu logischer Weise zum Beweis führen: Auch die Ehefrau Dorothea ist eine Heilige. Den gleichen heldenhaften Gehorsam finden wir auch bei ihr, auch wenn sich ihr weiteres Leben anders gestaltete. Niklaus von Flüe verlässt seine Frau nicht grundlos, sondern nur, um - von Gott gerufen - einer höheren Aufgabe zu dienen. Dazu war jedoch die ausdrückliche Zustimmung der Ehefrau notwendig. Hätte aber Dorothea ihre Zustimmung nicht gegeben, und wäre er deswegen zu Hause geblieben, dann hätte es nie einen heiligen Bruder Klaus gegeben. Gemäss Numagen hatte sich Dorothea selbst ein Gelübde auferlegt, als sie ihrem Ehemann die Erlaubnis für den Weggang gab.
  
Referenz: Robert Durrer, Bruder Klaus-Quellenwerk, 234–331

  

   Es ist nun schon überall bekannt, dass Bruder Klaus in Unterwalden ob dem Wald, in der Diözese Konstanz, Provinz Mainz, bereits sechzehn Jahre ohne Speise lebt. Da derartige Vorkommnisse in der Natur ganz ungeheuerlich sind und vielen zweifelhaft und verdächtig erscheinen, so plagt mich wahrlich keine unwürdige Neugierde nachzuforschen, was denn daran wahr ist, ob der Glaube und die Frömmigkeit mit den Tatsachen in Einklang gebracht werden können.
  
Niklaus, ansässig in Unterwalden, beziehungsweise Obwalden, stammt aus einer Familie mit gutem Ruf. Von Jugend an hat er sich den Ruf eines lobenswerten Lebenswandels verdient. In seinem Land gelangte er zu grossem Ansehen. Er wurde in die oberste Behörde gewählt und lebte mit seiner Gattin und seinen Kindern glücklich von der Arbeit seiner eigenen Hände. Aber von der Liebe zur Einsamkeit gedrängt und mit Abneigung gegen alle weltlichen Geschäfte erfüllt, zog er sich vom öffentlichen Leben zurück. Damals lebte er zwar noch in ehelicher Gemeinschaft, aber er hegte doch schon heimlich den Wunsch, sich in Enthaltsamkeit zu üben, bis ihm die Freuden des Ehelebens und der Trost durch die Kinder wenig bedeuteten und er sich in die öde Einsamkeit unweit seines häuslichen Herds zurückzog, wo er nun in einem engen Tal, am steilen Ufer eines Flusses, bereits sechzehn Jahre ohne Speise lebt.   Nun erhebt sich die Frage, ob er Frau und Kinder verlassen durfte, um in die Einsamkeit zu gehen.
  
Die Diskussion in Pro und Contra:
  
Contra: Die Ehe ist die Verbindung von Mann und Frau und schliesst eine unzertrennliche Lebensgemeinschaft in sich ein. So wird sie definiert von Papst Alexander III. (Summa Magistri Rolandi, 27). Und diese Definition wird ausdrücklich als Norm aufgestellt, von der kein Ehegatte abweichen darf, selbst dann nicht, wenn er wünscht, einem Orden beizutreten. Ja, ein jeder Teil ist es dem andern schuldig, die eheliche Pflicht zu erfüllen, ohne jede Benachteiligung, ausser wenn beide zustimmen, was für eine bestimmte Zeit geschehen kann, damit sie sich besser dem Gebete widmen können. Doch müssen sie stets die Freiheit besitzen, diese Einwilligung wieder rückgängig zu machen. Da aber Gott ein gestohlenes Opfer hasst, so folgt daraus, dass Gott die Enthaltsamkeit des Mannes, der das eheliche Zusammensein mit seiner Frau vernachlässigt, zuwider ist, ja, dass der Enthaltsame, der die Pflicht erfüllen sollte, die unzertrennliche Lebensgemeinschaft dadurch trennt, so dass es unsittlich wäre, wenn der eine Teil ins Kloster einträte und der andere in der Welt bliebe.
  
Weiter, da das Heiraten etwas sittlich Ehrbares ist und der Beischlaf mit der eigenen Gattin der [standesgemässen] Keuschheit keinen Abbruch tut (Dekret des Konzils von Nicäa, 37), so muss der Mann nach den Worten des Apostels Paulus «schwach» werden, wenn die Frau «schwach» wird, und ihr beiwohnen (1 Kor 7,1-8), d.h. er muss, wenigstens wenn die Frau es verlangt, dieser gegenüber die eheliche Pflicht erfüllen, die er selber nicht zu verlangen sich vorgenommen hat, damit nicht etwa seine Enthaltsamkeit die Frau zur Unzucht verleite, welche Sünde dann dem Manne als Schuld angerechnet werden müsste und die bei Gott auch keineswegs durch eine solche Tugend [der Enthaltsamkeit] ausgeglichen werden könnte, ja vielmehr würde die Sünde der Frau der Enthaltsamkeit des Mannes zugeschrieben. – Wenn nun die Frau in dieser Sünde sterben würde, wie könnte solch ein unkluger Mann sich vor Gott verantworten?
  
Angenommen nun, Bruder Klaus habe die Einwilligung seiner Frau [zur Trennung] erhalten, hätte er dann jedoch nicht befürchten müssen, dass diese Einwilligung sie hinterher hätte reuen können und sie dann gerade deswegen hätte Ehebruch begehen können. Die Ehe ist durch den ihr innewohnenden Wert etwas Bestimmtes, weil sie ja als ein Sakrament des Neuen Bundes die Anhänglichkeit Christi an die Kirche darstellt, die er niemals verlässt, sondern mit ihr in geistiger Weise immer fruchtbar wirkt. Dadurch, dass die gläubigen Eheleute nicht nur dem Leibe nach, sondern auch der Seele nach, miteinander verbunden sind, geben sie auch eine Art unsterbliche Nachkommenschaft weiter. Das Zeichen einer heiligen Sache [das Ehesakrament] verlassen, bedeutet, die heilige Sache selbst verlassen und damit die Verbindung Christi mit seiner Kirche. Die Pflicht nicht zu erfüllen, heisst, Ungerechtigkeit auf sich zu laden.
  
Pro (der tatsächliche Verlauf des Lebens von Bruder Klaus und Dorothea bestätigt jedoch die berechtigte Ausnahme von der Regel):
  
Es ist freilich niemandem gestattet, sei es des Ordens- oder Einsiedlerlebens wegen, seine Ehegemeinschaft zu verlassen, wenn der andere Gatte nicht einwilligt. Doch wie es Papst Nikolaus [V.?] sagt, ist es Gott und nicht der Mensch, der trennt, wenn dieser aus Liebe zu Gott und mit Zustimmung beider Eheleute den getrennten Weg geht. Er schreibt nämlich: «So weicht man eigentlich nicht vom Wesen der Ehe ab, vielmehr wird durch die freiwillige Enthaltsamkeit ihrem Wesen sogar noch besser entsprochen. Wer sich [nach gegenseitiger Absprache] vom Fordern enthält, begeht keinen Betrug.
  
Man kann also annehmen, dass die Ehefrau des Niklaus, dadurch, dass sie ihre Einwilligung ohne Zwang gab, zugleich auch sich selbst das Gelübde auferlegt hatte, wodurch sie danach selbst ehelos und trotzdem in der Welt lebte. Wenn nun aber die Frau nicht eingewilligt hätte, so könnte sie den Mann zurückverlangen, selbst wenn er Papst geworden wäre, wie es in einer Randbemerkung [zum Kirchenrechtsdekret des Konzils von Nizäa] heisst.
  
Du also, ehrbare Ehefrau des Nikolaus, bist mit wenig zufrieden und hast so etwas wahrhaft Würdiges und Tugendhaftes getan, dass es dir durch Gottes Güte in der Ewigkeit angerechnet werden wird, dadurch, dass du in dieses heilige Vorhaben deines Mannes einwilligtest. Und wahrlich ist es nur billig, dass du nach Möglichkeit eingewilligt hast, zumal du ja bereits jenes Alter erreicht hast, wo du umgeben von einer glücklichen Kinderschar wohl versorgt und frei von unerlaubten Wünschen fähig bist, die Kinder in Zucht zu erziehen und ihnen das Beispiel des gottesfürchtigen Lebens zu geben, was du ja durch dein früheres Leben und den tugendhaften Umgang mit deinem Gatten schon bewiesen hast. Du hast getan, was nicht einmal Penelope und Alkeste des Ulisses und Admetus keuscheste Gattinnen zustande brachten, du überragst sie weit, hast du ja aus Liebe zu Gott deinem Manne geduldig entsagt und voll Treue jedes Lob verschmäht. Du darfst zuversichtlich die Verheissung der Wahrheit und des ewigen Lebens erwarten (Mt 19).
  
Es wurde in den frühern Ausführungen dargetan, dass die Enthaltsamkeit des Niklaus die Gottesfurcht nicht ausschliesst, weil er sie mit der Einwilligung der Frau ausübt, [ferner,] dass er für genügenden Lebensunterhalt von Frau und Kindern gesorgt hat. Ferner hat er sich nicht von der Ehe losgesagt, denn mag er auch auf deren Knechtschaft verzichtet haben, um ein besseres Leben führen zu können, so bleibt doch das [sakramentale] Band bestehen. Auch nicht vom Zeichen der heiligen Sache; denn jene noch andauernde Einwilligung, die beider Willen in einer Anwandlung göttlicher Liebe dazu bewegte, einander die Erlaubnis zur Enthaltsamkeit zu geben, bedeutet jene ewige Liebe, mit der Christus seine Kirche stets umgibt (Hieronymus 31, Kommentar zu Hos 2). Auch nicht von seiner Pflicht gegenüber der Gattin und den Kindern wurde er abtrünnig, denn die erstere war durch die Einwilligung getilgt, der letztern hatte er Genüge getan. Ferner vermindert er keinesfalls die Segnungen der Ehe, aus der eine dreissigfältige Frucht sich erhebt, sondern vermehrt sie in seinem Einsiedlerleben, da es ja sechzigfältige Frucht hervorbringt.
  
Weitere Erläuterungen über die Nahrungslosigkeit von Bruder Klaus
  
Wir streiten nun nicht ab, dass Niklaus auch jenes heiligste Sakrament der Eucharistie geniesst - und zwar in wirklicher, nicht bloss in geistiger Weise, obwohl sie eine Lebensspeise auch zur körperlichen Stärkung ist, auch wenn sie allein in geistiger Weise empfangen wird, wie Johannes lehrt (Joh 6). Der liebevollste Herr lädt in seiner unendlichen Liebe ein: «Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für diejenige, die bleibt zum ewigen Leben.» (Joh 6,27) Während man also erwägt, von welchem Brot Niklaus lebt, mag man besser traurig sein darüber, dass man sich so viel Mühe macht mit dem irdischen Brot und dabei das himmlische vernachlässigt. Man soll lernen, ständig nach jenem Brot Verlangen zu haben, das zarter und nahrhafter ist als jede andere Speise.
  
Denn der Apostel [Paulus] selbst schreibt in der Erinnerung an die Philipper und sagt: Alles vermag ich in dem, der mich stärkt (Phil 4,13). Und niemand dürfte daran zweifeln, daß er nicht all das konnte, wozu der ihn stärkte, der ihm zu allen Dingen die Kraft zu verleihen imstande war. Und jene, die auf ihn hoffen, werden ihre Stärke vermehrt finden (Jes 64,3); sie werden schreiten von Tugend zu Tugend (Ps 84,8). Zu diesem Wachstum in den Tugenden möge er uns führen und geben, daß wir einstens zu ihm gelangen und mit ihm in alle Ewigkeit uns freuen, indem er in uns mehre die Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Er aber, die wahre Kraft Gottes Christus Jesus, der Erlöser der Welt, der König Himmels und der Erde, das Brot, das alle Auserwählten mit Gnade und ewiger Herrlichkeit sättigt, sei hochgelobt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
    
  
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