Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Der Friede in Gott · Brief an den Rat von Bern
  
   Temperabild[4. Dezember 1482] · « An die Ehrwürdigen. Der Name Jesus sei Euer Gruss. Wir wünschen Euch viel Gutes und danken Euch für die Grosszügigkeit. Der Heilige Geist sei Euer letzter Lohn. Ich danke Euch aufrichtig und sehr für Eure freundliche Gabe, denn ich erkenne darin Eure väterliche Liebe, die mich hoch erfreut. Ihr sollt wissen, dass ich ein grosses Vergnügen an dieser Spende habe, ja auch, wenn sie nur halb so gross wäre. Um Eure Wohltat zu verdienen, werde ich mich gegenüber Gott und der Welt mit gutem Willen bemühen. Der Bote, den Ihr beauftragt habt, brachte mir die Spende sofort. Ich bitte Euch, lasst ihn bei Euch weiterhin empfohlen sein.
     
Wegen dieser Wohltat möchte ich noch etwas schreiben. Gehorsam ist die grösste Ehre, die es im Himmel und auf der Erde gibt. Darum sollt Ihr darauf achten, dass Ihr aufeinander hört, dabei sei Euch die Weisheit das Allerliebste, denn mit ihr verläuft alles zum besten [alles wird gut]. Friede ist immer in Gott – Frid ist allwegen in Gott ... –, denn Gott ist der Friede. Friede kann nicht vernichtet werden, Unfriede aber wird zerstört. Darum sollt Ihr darauf bedacht sein, dass Ihr immer den Frieden im Auge behaltet, Witwen und Waisen in Schutz nehmt, wie Ihr es bisher getan habt. Und wenn jemand auf Erden erfolgreich ist, dann soll er dafür Gott gegenüber dankbar sein. So vermehrt er auch das Seine im Himmel. Die offensichtlichen Sünden soll man meiden und immer einstehen für die Gerechtigkeit. Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen die grösste Sicherheit an seinem letzten Ende. Es gibt viele Menschen, die Glaubenszweifel haben. Der Teufel macht manche Versuchungen in Glaubensdingen, gerade und meistens bei solchem [zweifelndem] Glauben. Wir sollen aber nicht zweifeln, denn der Glaube ist vorgegeben. Dies schreibe ich Euch nicht, weil ich meinte, Ihr hättet nicht den rechten Glauben, ich zweifle nicht daran, dass Ihr gute Christen seid. Ich schreibe es Euch zur Erinnerung, damit Ihr ritterlich Widerstand leistet, denn der böse Geist gibt nicht auf. Um so mehr sei Gott mit Euch!
Datum von St. Barbara [4. Dezember] im Jahre 1482. Auf diesen Brief lass ich mein eigenes Siegel setzen.               Ich, Bruder Klaus von Flüe »
   

 Friede und Gerechtigkeit gehören eng zusammen, so wie es in einem Psalm heisst: «Gerechtigkeit und Friede küssen sich ...» (Ps 85,11). Diese Tatsache hält Bruder Klaus für sehr wichtig. Und er legt dies sogar noch konkret dar: «Witwen und Waisen in Schutz nehmen», d. h. es darf den Armen das Lebensnotwendige nicht vorenthalten werden – ein wichtiger sozialer Gedanke. Oder anders gesagt: Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Ohne Gerechtigkeit ist ein friedliches Zusammenleben nicht möglich, es treten immer wieder Spannungen auf, die sich in Gewalttaten entladen. Diese Kräfte nur wieder mit anderen Kräften in Schach zu halten, um Ruhe zu haben, ist kein echter Friede, das ist ein Irrweg, wie es die Geschichte oft genug beweist. – Heute müsste man noch ergänzend sagen: Auch Geld ist eine Form der Gewalt, wenn es missbraucht, rücksichtslos oder gleichgültig eingesetzt wird, schafft es Ungerechtigkeit und Unfrieden. – Mahatma Gandhi, einer der grössten Kämpfer für den Frieden (ermordet 1948), sagte: «Armut ist die grösste Gewalt.» Demgegenüber konnte Bruder Klaus aus seinen Erfahrungen mit Visionen erkennen: «Die Barmherzigkeit ist die höchste Tugend.» (Biografie Wölflins, Quelle 072, §14)
    

Um immer in Erfahrung zu bringen, was not tut, wie vernünftig, gerecht und dem Frieden dienend zu handeln ist, braucht es den «Gehorsam» – «Darumb soend ir lůgen, dz ir enandren gehorsam syend und wisheit dz allerliepst, wan warumb es facht alle ding zum besten an». Damit meint jedoch Bruder Klaus nicht, dass Diktatoren oder sonst gerissene, hochmütige und gierige Menschen andere terrorisieren dürfen. «Gehorsam» ist in der Sprache des Eremiten vom Ranft anders zu verstehen: aufeinander hören, aufeinander eingehen, miteinander im Dialog bleiben – auch dies gehört zu einer fruchtbaren Friedensarbeit – und erst so kommt die Weisheit der Stunde zum Vorschein. Ohne dieses «Aufeinander-hören» ist kein Dialog möglich, die Gesprächsteilnehmer müssen aufeinander Rücksicht nehmen und versuchen, die Ideen, Anliegen und Sorgen der anderen zu verstehen. Bruder Klaus war in dieser Hinsicht ein Philosoph; für die damalige Zeit war dieser Gedanke neu. Er hatte bereits dem Sinn nach einen Begriff von Jean Jacques Rousseau zeitlich vorweggenommen: «volonté general» (der Allgemeinwille, der Konsens, als Grundlage der Demokratie), und so auf seine unverfälschte Art einen Kerngedanken der Relativität der Seelen geäussert. Dem Allgemeinwillen müssen wir uns, soweit es angebracht ist, freiwillig unterwerfen, also freiwillig ihm gehorchen.
    

Kritik muss erlaubt sein, aber dann ist die Selbstkritik genauso gefordert. Unaussprechbliche Dinge müssen offen dargelegt werden, vor allem das, was am meisten den Frieden stört: Neid und Überheblichkeit. Wo der Neid die Seele auffrisst, da ist kein Friede möglich. Neid und Überheblichkeit sind meistens die Triebkraft von Intrigen, auch in der Kirche. Dieses Böse, der zerfressende Neid und die blinde, blockierende Arroganz setzen oft im Umfeld des Glaubens an, um dann von hier aus die Zerstörung voranzutreiben. Bruder Klaus (der Friedenstifter) weiss, wovon er spricht.
    

Bruder Klaus spricht auch entschieden vom Festhalten am Glauben (was damals, in der Renaissanceepoche, allerdings nicht bedingungslose Papstreue meinte). Auch hier wird der Einsiedler noch konkreter: «Ihr sollt auch das Leiden Gottes in Eurem Herzen tragen, denn es ist für den Menschen an seinem letzten Ende der grösste ‹trost›» – entsprechend der alten Wortbedeutung: «trost» = Sicherheit, Hilfe. Die Mitte des christlichen Glaubens ist Jesus mit seinem Leiden und Sterben am Kreuz. Das Kreuz ist das Zeichen grösster Not und zugleich deren Wende, der Rettung. – Es heisst von einem guten Menschen oft, er hat ein grosses Herz. In dieser Redeweise gilt: Das Herz Jesu ist die Arche, welche die Schiffbrüchigen dieser Erde rettet. Weil dieser Jesus Gott ist, kann in höchst sinnvoller Weise gesagt werden: Der Friede ist immer in Gott, denn Gott selber ist allein der Friede. Das Kreuz Jesu ist der Steg über den Abgrund (Ephräm der Syrer), und es führt hinein in die bergende Arche, wo Trost und Sicherheit sind, wo der Friede als König herrscht. – Ein Mensch kann nur ein Friedensstifter sein, wenn er ein Freund des ersten Friedensstifters ist: Jesus Christus, der Frieden gestiftet hat durch sein Kreuz (vgl. Kol 1,20).

Der äussere Anlass für den Brief des Eremiten an den Rat von Bern, war die Schenkung von 40 Pfund für die Kapellenstiftung, die Bruder Klaus erst kurz vorher ins Leben rief und welche die Zukunft der Ranftkapelle sicherstellen sollte. Nicht zu vergessen ist zudem, dass Klaus von Flüe mit dem 1479 verstorbenen, früheren Schultheiss von Bern, Adrian von Bubenberg (*um 1434, Freiherr von Spiez) befreundet war. Dieser war bei der bischöflichen Überprüfung (Inquisition) des Einsiedlers durch den Konstanzer Weihbischof Weldner im April 1469 als Zeuge und schützender Beistand im Ranft anwesend (Quelle 004). Beide, Klaus von Flüe und Adrian von Bubenberg, setzten sich, wo auch immer, für den Frieden ein. Der Berner Ratsherr unternahm eine Pilgerreise ins Heilige Land und wurde dort 1466 Ritter vom heiligen Grab. Er war 1475 entschieden gegen ein Bündnis Berns mit dem französischen König gegen den Herzog von Burgund, Karl den Kühnen, und wurde deswegen aus dem Rat ausgestossen, obwohl er vorher noch beim Herzog vorstellig wurde und sich für den Frieden einsetzte. Im Gegensatz zu manchen Gesandten, etwa dem päpstlichen Legaten in Frankreich, Kardinal Giuliano della Rovere, glaubte er lange Zeit an eine gewaltlose Lösung des westeuropäischen Konflikst. Seine diplomatischen Bemühungen für den Frieden – er war mehrmals am Hofe des Königs von Frankreich sowie bei Herzog Karl dem Kühnen – waren beachtlich. Kaum ein Jahr später kehrte er zurück zur Verteidigung Murtens, – er kannte die Strategie seines ehemaligen Freundes Karl sehr gut, nicht zuletzt weil er in der Jugendzeit als Page am burgundischen Hofe diente; loyal gegenüber Bern und der übrigen Eidgenossenschaft setzte er sich mit äusserster Entschlossenheit für seine Aufgabe ein, nachdem er zuvor die Regentin von Savoyen für seine Strategie gewinnen konnte. Nach dem Tod Adrian von Bubenbergs, August 1479, wurde bekannt, dass er eigentlich exkommuniziert worden wäre, was ein unehrenhaftes Begräbnis zur Folge hätte haben müssen. – Der Zeitpunkt einer Exkommunikation definiert sich durch die Tat selbst (eo ipso). Wann sollte das gewesen sein? – Doch der Berner Rat weigerte sich gegen eine Exhumierung im Berner Münster (die Grabplatte verschwand später dennoch). Dem Urteil nach hätte der Leichnam des Ritters Adrian von Bubenberg exhumiert und draussen den Hunden zum Frass vorgeworfen werden sollen – «… Eum exhumari et ceu Canem inter feras projiici …», wie es in einem Brief der Stadt Bern an Papst Sixtus IV. heisst (Missiven-Buch, lit. B. fol. 430). Wie dachte wohl Bruder Klaus darüber? – Was hätte geschehen können, wenn der Berner Magistrat bei der Inquisition nicht anwesend gewesen wäre? Fühlte sich der Weihbischof bedroht (vgl. Quelle 004 und Quelle 069). Wurde über den Hergang etwas nach Rom gemeldet, etwa, dass eine Inquisition nicht rechtmässig durchgeführt werden konnte? – Der als 45-jähriger verstorbene Adrian von Bubenberg war immer grosszügig zu anderen Menschen, nahm eine soziale Verantwortung wahr, wie sie damals nicht erwartet und darum auch nicht immer verstanden wurde, jedoch nichts Anderes war, als was ein Ehrenkodex der Ritter gebieten würde. Zudem, auf diplomatischer Ebene waren Bubenbergs Bemühungen um den Frieden beachtlich. Auch er war eigentlich ein Friedensstifter, so wie sein Freund im Ranft. Das politische Handeln musste in seiner Ethik immer den christlichen Grundsätzen unterstellt werden. Einer dieser Grundsätze lautete: «Wo Gott nit ist, da mag kein guet end nierner gesin.» (Ohne Gott kann es nie etwas Gutes geben.) Und der Gleichgesinnte im Ranft kann das noch ergänzen: «… denn Gott ist der Friede.» Auch wenn der Name von Adrian von Bubenberg in Klausens Brief nicht genannt wird, so ist sein Grundsatz doch in ihm geradezu gegenwärtig als Leitthema. – Nicht unerwähnt bleiben sollte noch dies: Mitglieder im Kleinen Rat von Bern waren genau zu dieser Zeit Adrian II. von Bubenberg (Sohn Adrians I. und gleichsam «Aussenminister») und Rudolf von Erlach (befreundet mit der Familie von Bubenberg und ebenfalls Vertreter der gleichen Friedenspolitik wie Adrian I. von Bubenberg), der bei der Einigung zum Stanser Verkommnis eine sehr wichtige Rolle spielte; er ging wohl als erster auf die Botschaft des Eremiten Klaus ein. Ferner lebte in Bern der Freiherr Andreas Roll von Bonstetten († 1496), der wiederum 1463 Johanna von Bubenberg geheiratet hatte, die Schwester des Adrian I. von Bubenberg. Andreas war der Bruder des Albrecht von Bonstetten (Dekan des Klosters Einsiedeln), der seinerseits nach seinem Besuch am 31. Dezember 1478 im Ranft die erste öffentlich zugängliche Biografie über Klaus von Flüe schrieb (Quelle 015). Beide aus Uster stammenden Brüder, Albrecht und Andreas, erhielten in Bern das Bürgerrecht.
  
Der Duktus des Briefes zielt keineswegs an der aktuellen Lage vorbei, allerdings ohne Namen zu nennen. Die Garriliati-Affäre schockierte damals die Menschen in Bern und weit darüber hinaus. – Für Bern war es eine «Staatskrise». – Um an die Pfründe des Priorats Rüeggisberg heranzukommen benutzte der apostolische Abbreviator (Protonotar), Nicolao Garriliati, als Druckmittel das Gerücht von der Exkommunikation des verstorbenen, angesehenen Ratsherrn, Adrian von Bubenberg (Quelle 004). Die ganze Angelegenheit war ein Unfriede und stellte manches in Frage, eben auch den Glauben und das Verhältnis zur römischen Kirche. Genau daran hatte wohl der Einsiedler mahnend angeknüpft. Ausgerechnet Adrian von Bubenberg, der Zeit seines Lebens immer und überall in grösseren und kleineren Konflikten auf Deeskalation (Entspannung, Frieden) hin arbeitete, wurde da posthum zum Gegenstand eines Konflikts mit der Kirche, der durch die Diffamierung Garriliatis eskaliert war, ohne dass der Grund einer Verfehlung seitens des Berner Ratsherrn genannt wurde. – Gemeint sein konnte diesbezüglich nur die Bemühung Adrians von Bubenberg, am 27. April 1469 im Ranft die Inquisition durch den Konstanzer Weihbischof nicht weiter eskalieren zu lassen (er bemühte sich auch hier um Deeskalation). Er sah den wehrlosen Bruder Klaus in Lebensgefahr, wollte ihm helfen und verursachte den Abbruch der Inquisition. – Der Vorfall, das Verhalten des hohen Beamten aus Rom, war später zweifellos mitunter ein Grund für die Reformation in der Aarestadt. Vorerst gaben aber die Berner Ratsherren den Forderungen des römischen Beamten nach, um Ruhe (Deeskalation) zu haben, und gaben Garriliati, was er wollte: die Pfründe des Priorats Rüeggisberg und sogar noch das Bürgerrecht der Stadt Bern. Das Nachgeben der Berner (Deeskalation) sollte aber keineswegs ein Eingeständnis irgendeiner Schuld Adrians von Bubenberg darstellen. Der Berner Chronist, Valerius Anshelm, wird trotzdem nach erfolgter Reformation in der Stadt nicht gerade mit freundlichen Worten über den Vorfall berichten (Quelle 229, g).
    
Abbildung: Temperamalerei um 1500, Obwaldner Staatsarchiv Sarnen, 1951 vom Kanton Zürich dem Kanton Obwalden geschenkt (siehe auch: Quelle 085).
  

  
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