Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Frieden stiften · Tagsatzung in Stans 1481
  
   Stanser Verkommnis – Tagsatzung im Dezember 1481
  
In Stans versammelten sich im Dezember 1481 die Abgeordneten der Acht Orte des Bundes der Eidgenossen. Sie berieten um die Zukunft ihres Staatswesens. Die Ver­handlungen waren ins Stocken geraten. Es bahnte sich eine schwere Krise an.
     
Nachdem die Eidgenossen zusammen mit Lothringern und Österreichern 1474–1477 vier­mal die burgundischen Heere besiegt hatten – zuletzt bei Nancy unter dem Kommando von René von Lothringen, wo Herzog Karl der Kühne sein Leben verlor –, wurde so manch einer im Land der Eidgenossen übermütig. Nach aussen gewannen sie zwar an Ansehen, und so kam es auch zu einigen Sonderbündnissen zwischen einzelnen Mitgliedern des Bundes mit Städten im Elsass und in Süddeutschland – das so genannte
«Burgrecht» –, was jedoch die Stabilität im Innern nicht sonderlich förderte. Am vorgreifenden Burgrecht zwischen Luzern, Bern und Zürich mit Freiburg und Solothurn endzündete sich dann ein grösserer Unfriede.
  
Allerdings gab es bereits vor 1477 sowohl das Burgrecht als auch das Landrecht, in die Orte der Eidgenossen involviert waren. Zürich etwa hatte ein Burgrecht mit der Stadt St. Gallen. Schwyz hatte ein Schutzbündnis mit Rapperswil usw. Das Burgrecht war aus­schliess­lich Städten vorbehalten, währenddem das Landrecht für alle offen war. Burgrecht und Landrecht schlossen sich aber offensichtlich gegenseitig aus. Der Vierwaldstätterbund zwischen den 3 Urorten, Uri, Schwyz und Unterwalden sowie Luzern war der Form nach ein Landrecht. Mit den Städten Freiburg und Solothurn sowie den mit ihnen alliierten Städten sollte das alte Burgrecht mit Bern und Zürich fortgesetzt werden, was dort gängi­ge Praxis war. Die Teilnahme Luzerns war dabei umstritten. Hätte es neu ein Landrecht der Alten Acht Orte mit Freiburg und Solothurn gegeben, wäre alles bedeutend weniger problematisch gewesen.
  
Der «Saubannerzug»* der Gesellen vom «torechten Leben» («torecht» bedeute damals: «toll», «rasend») zur Fastnachtszeit 1477 hatte eigentlich nur nebenbei etwas mit der politischen Uneinigkeit zu tun. Zuerst waren es jugendliche Krieger aus der Innerschweiz, die loszogen, um von Städten in den während der Burgunderkriege eroberten Gebieten Savoyens einen Kriegstribut einzufordern. Weder die Städte Bern noch Freiburg noch Solothurn waren dadurch ernsthaft bedroht, ausser, dass die Jugendlichen unterwegs immer wieder etwas zu essen und zu trinken organisierten und bisweilen betrunken randalierten. Bei ihrem Zug gegen Westen schlossen sich immer mehr auch Jugendliche anderer Städte an, sogar aus Luzern und Bern. Der Marsch auf Genf wurde allerdings am 4. März 1477 aufgehalten. Diese Episode war also schnell zu Ende, der Streit um einen neuen Bündnisvertrag jedoch noch lange nicht. An der Tagsatzung in Zürich, am 28. Januar 1478, in der sich besonders der Berner Ratsherr Adrian von Bubenberg stark engagierte, wurde übrigens von den Eidgenossen beschlossen, die Waadt wieder an Savoyen zurück­zugeben. An den Verhandlungen nahmen auch Gesandte anderer Mächte teil. Maria von Burgund erhielt die meisten Gebiete ihres Vaters: die niederländischen Herzogtümer und Grafschaften ferner die Grafschaft Charolais und den grössten Teil der Freigrafschaft Burgund; das Herzogtum Burgund und einen kleinen südwestlichen Teil der Freigrafschaft besetzte König Ludwig XI. von Frankreich.
  
Später, im Sommer 1478, wollten die Entlebucher die Herrschaft der Stadt Luzern ab­schüt­teln, unterstützt durch Ratsherren aus Obwalden –
Amstalden-Handel (Quelle 014), ein äusserst schwerwiegender Zwischenfall, der Konfliktfaktor Nummer 1 (stressor). Beson­ders Luzern suchte deshalb Schutz im bereits bestehenden Burgrecht mit Bern und Zürich. Das Gleichgewicht drohte jedoch vollends verloren zu gehen, als diese drei Stadtorte zwei mit ihnen verbündete Städte, Freiburg und Solothurn in den Bund der Eid­genossen auf­nehmen wollten. Darin sahen die fünf Landorte (zu ihnen zählte auch Zug) für sich selber grosse Nachteile. Die Eid­ge­nossenschaft war in zwei Lager gespalten und drohte zu zer­brechen. Jedoch zu sagen, dass unmittelbar ein Bürgerkrieg mit unabsehbaren Folgen ausgebrochen wäre, wäre übertrieben und allein schon von der Begriffsdefinition her falsch, da die Eidgenossenschaft nur ein Gebilde aus lose miteinander vebündeten Einzel­staaten war. Die alten Verträge hätten zwar pro forma Gültigkeit gehabt. Doch der seit 1477 durch die unübersichtlichen Sonderbündnisse gestörte Landfriede in der Eidge­nos­senschaft hätte weiterhin das Leben beeinflusst. Es ging also darum, Misstände und eigenmächtiges Han­deln der einzelnen Orte abzustellen, den Ursachen auf den Grund zu gehen und einen tragfähigen Landfrieden herzustellen sowie mehr geschlossenes Han­deln zu erwirken. Daran taten sich die Abgeordneren der acht Ort schwer. Fehlte den Eidgenossen eine Integrationsfigur, die auf Versöhnung hätte drängen können? – Ein Zeitzeuge, der Luzerner Chronist Diepold Schilling, schildert diesen Vorabend (Luzerner Chronik 1507–1513 mit Illustrationen, Quelle 208, originalsprachlich in: Robert Durrer, Quellenwerk, 158–163) – er war zwar während der Tagsatzung in Stans anwesend, durfte jedoch nicht an den Sitzungen teilzunehmen. Sein Vater, Hans Schilling, amtete in der Tagsatzung als Schreiber der Stadt Luzern, sein Onkel, Diepold Schilling (der Altere), war hingegen Gerichtsschreiber in Bern (bis 1485). Der Jüngere Diepold schreibt später:
  
Heimo am Grund bei Bruder Klaus im Ranft - Diepold Schilling Chronik
  
« Zu dieser Zeit gab es einen ehrlichen und frommen Priester als Pfarrer von Stans. Er hiess Heini [Heimo] Amgrund, Bürger von Luzern, ein enger Vertrauter von Bruder Klaus im Ranft. Dieser Herr Heini verstand und merkte, dass nichts anderes mehr möglich schien als Krieg. Er stand in der Nacht auf, begab sich eilends zu Bruder Klaus und legte ihm die Sachlage dar.
     
Die Verhandlung war ins Stocken geraten, man sah keinen rechten Ausweg, und so wollte jeder am Nachmittag nach Hause fahren. Man konnte sich nicht mehr helfen, keiner traute der Stimmung, und wenn sich niemand besser besinnen konnte, musste es wohl Krieg geben. Als man gegessen hatte und aufbrechen wollte, da kam Herr Heini schwitzend herbeigerannt von Bruder Klaus. Er lief sofort in alle Wirtshäuser und bat die Abgesandten mit weinenden Augen, sich um Gottes und um Bruder Klausen willen wieder zusammenzusetzen und die Ansicht von Bruder Klaus anzuhören. Dies geschah dann auch.»
  
Heimo am Grund zurück in Stanst - Diepold Schilling Chronik
  
« Was er [Heimo Amgrund] aber übermittelte, war der Öffentlichkeit nicht zugänglich; es wurde Herrn Heimo durch Bruder Klaus verboten, dass jemand ausser den Abgesandten seine Kunde vernehmen durfte. So gab Gott das Glück, wie bös es auch vormittags noch ausgesehen hatte, dass durch diese Botschaft alles sich zum Besseren wandte und innerhalb einer Stunde alles ganz und gar abgewogen und eingerenkt wurde. Johannes Schilling selig, der Schreiber meiner Herren von Luzern, mein Vater, mit dem ich selbst in Stans als Gehilfe dabei war, wurde beauftragt, den beschlossenen Vertrag schriftlich festzuhalten, was dann auch eilends geschah. Und so wurden Freiburg und Solothurn in diesem Vertrag aufgenommen, so wie sie jetzt sind. Das Burgrecht wurde abgeschafft. Es wurden neue Urkunden angefertigt, welche man die «Stanser Verträge» [auch: «Stanser Verkommnis»] nennt. Die gleichen Leute hatten nun echte Freude, und so wurde die Angelegenheit am Abend nach St. Thomas [Samstag, 22. Dezember] im Jahre 1481 zum Abschluss gebracht. Dieser Vertrag wurde mit den Siegeln aller Orte versehen und für ewige Zeiten eidlich als Bündnis angenommen. Darin mit eingeschlossen und neu bestätigt wurde der Sempacher Vertrag, wie man sich in Kriegen verhalten soll.»
  
Die Angelegenheit nahm eine glückliche Wende, dank dem klugen Rat von Bruder Klaus und dem selbstlosen Engagement seines Freundes und geistlichen Beraters, Heimo Amgrund, der zu diesem Zeitpunkt gerade Pfarrer in Stans war. Dieser Heimo Amgrund ging in Eile den Weg von Stans in den Ranft und den gleichen Weg wieder zurück. Der Streit war beendet, in letzter Sekunde brachen Friede und Versöhnung durch. Die Eidge­nossen beider Lager konnten wieder miteinander reden.
  
Ein weiterer Anwesender in Stans (bei den geheimen Verhandlungen wohl nicht selbst dabei), der Solothurner Stadtschreiber, Hans von Stall, äussert sich zu diesem erfreu­lichen Ausgang in seinem Brief an die verbündetete Stadt Mülhausen im Elsass (Robert Durrer, Quellenwerk, 117f.):
  
« Bruder Klaus hat gut gewirkt, und ich habe dementsprechend gehandelt. Nun ist grosse Freude im ganzen Land mit Glockengeläute und Jubel wegen der Einigung. Darum möchtet Ihr doch so gut sein und dies auch verkünden, Gott loben, die Glocken in Freude läuten und den Dankgesang auf die Einigung anstimmen lassen, weil nun in der ganzen Eidgenossenschaft ein Bundesvertrag gemacht wurde, denn überall ist in Freude geläutet und gesungen worden. Heute reite ich aus der Stadt in Richtung Kempten, im Namen der ganzen Eidgenossenschaft. Was ich für Euren Nutzen tun kann, will ich stets fördern und Euch auf jeden Fall wissen lassen, was zur Zeit aktuell ist. Der allmächtige Gott gebe Euch ein gutes und seliges Jahr. Gegeben am Abend vor Neujahr [31. Dezember] im Jahre 1481.
Ganz der Eure, Hans von Stall. »
  
Was hatte nun Bruder Klaus wirklich gesagt? Diepold Schilling erwähnt, Bruder Klaus habe es ausdrücklich nicht erlaubt, dass sein friedenstiftender Rat in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werde. Wie konnte er den Inhalt kennen, da er bei den Sitzungen nicht selbst dabei war sondern nur sein Vater? Tatsache ist jedenfalls: Freiburg und Solothurn wurden 1481 als feste Mitglieder in den Bund der Eidgenossen aufgenommen; es war allen Mit­gliedern verboten untereinander und mit Auswärtigen Sonderbündnisse einzugehen oder weiterhin aufrechtzuerhalten, die Aussenpolitik musste im gemeinsamen Dialog gestaltet werden. Alle Sonderabkommen nach aussen, mussten gemeinsam getragen werden.
  
Ikonographisch wurde auch schon versucht Bruder Klaus in Mitten der Gesandten auf der Tagsatzung in Stans dazustellen (Fresko am Eingang der Sachsler Pfarrkirche). War der Einsiedler tatsächlich, real in Stans gegenwärtig? Oder doch nicht? – Was heisst denn schon «real»? Ist die Geschichtsschreibung völlig unpsychologisch und unethisch? Hat sie kein Interesse am Geschehen innerhalb der menschlichen Personen? Bruder Klaus war in der Tat nicht physisch in Stans anwesend wohl aber imaginativ – in den Gedanken und den Gefühlen der Beteiligten. Ohne viele Worte genügt oft die imaginative Gegenwart einer Autorität, eines Menschen, auf den Andere hören, eines Menschen mit integrem, ausgeglichenem Charakter. Bruder Klaus war als weitsichtiger Meister der Imagination eine unangefochtene Autorität bei den Eidgenossen und weit über die Grenzen hinaus. Seine Visionen sind überhaupt nicht weltfremd sondern schliessen das Soziale im Zu
­sam­menleben der Menschen mit ein. – Man sollte die Macht des Imaginativen nicht unter­schätzen, sie geht dem freien und bewussten Handeln voraus und ist darum ethisch höchst relevant. Ferner ist es unerlässlich, einen möglichst breiten historischen Kontext zu berücksichtigen, wo sich wichtige Querverbindungen zeigen.
  
Imaginative Gegenwart hat gar nichts mit Esoterik zu tun sondern ist etwas Normales im Leben der Menschen. Man kann sich eine bekannte Person vorstellen, wie sie denken und handeln würde. Einige Historiker sehen den Einfluss des Klaus von Flüe auf die eidgenössi
­sche Politik dieser Krisenzeit (1477–81) als gering, manche zweifeln ganz daran. Bei dieser imaginativen Gegenwart, die am 22. Dezember 1481 in Stans zu einem guten Ende der Krise führte, wird höchstwahrscheinlich immer etwas Wichtiges übersehen. Was, wenn es da nicht nur um eine Person, den Eremiten im Ranft, geht sondern dazu noch um eine zweite? Enthielt die «geheime» Botschaft, die Pfarrer am Grund den Gesandten des Tags überbringen sollte noch Worte bezüglich einer weiteren damals sehr hoch geschätzten Person? Eines Mannes etwa, der erst gerade im August 1479 starb? Der erst noch in der Tagsatzung von Zürich am 8. Januar 1478 für eine Politik des Friedens und der Versöh­nung eingetreten war? Das könnte sein: der Held von Murten, Adrian von Bubenberg (1434–1479) . Jedenfalls verzichteten die Eidgenossen nach der Tagsatzung in Zürich, an der auch Gesandte der im Burgunderkrieg involvierten Mächte anwesend waren, auf eine Expansionspolitik, das Waadtland gaben sie zurück an Savoyen.
  
Über das Verhältnis zwischen Klaus von Flüe und Adrian von Bubenberg wird kaum etwas schriftlich berichtet. Es gibt eigentlich nur die Abschrift einer Urkunde bezüglich der Weihe der Ranftkapelle am 27. April 1469, als zugleich eine Inqui
­sition, die Prüfung der Nahrungs­ab­sti­nenz, stattfand (Quelle 004). Der Ritter aus Bern kam als schützender Beistand. Sicher dürfte dies nicht seine letzte Be­geg­nung gewesen sein mit dem Ere­miten. Als Klaus 1467 aus der Politik ausstieg und seine «Welt», Familie und Hof, verliess, galt er bei seinen Nachbarn in Obwalden als Sonderling, manche hielten ihn offen für einen «Spinner». Es gab da äusserst wenige, die für seine Verhaltensweise Verständnis aufbringen konnten – seine Ehefrau Dorothea zu einem grossen Teil. Aber wer sonst noch? Wer war es denn vor allem, der bald darauf entscheidend dazu beitragen konnte, sein Ansehen in der Welt zu vermehren, so dass er in den politisch verantwortlichen Köpfen nicht mehr unbedeutend war? Sicher fiel in den Tagsatzungen mit dem anwesenden Gesandten aus Bern, Adrian von Bubenberg, auch ab und zu der Name des Einsiedlers im Ranft.
  
Zur Abbildung: Adrian von Bubenberg reitet mit dem Kommandohammer in der rechten Hand zum Stadttor von Murten, um die Stadt gegen das anrückende Heer Karls des Kühnen unter Grossmarschall Jakob von Savoyen (Graf von Romont) zu verteidigen. Hinter dem Berner Ritter trägt ein Knecht seinen Wappenschild. Amtliche Berner Chronik des Diebold Schilling, Band III.
  
Was Bruder Klaus vor dem Ausbruch der Burgunderkriege wirklich dachte, ist kaum irgendwo von Zeitgenossen schriftlich fixiert (ausser in Chroniken im folgenden Jahr
­hundert: Schilling, Anshelm usw.). Mit Fug und Recht können wir annehmen, dass er die gleiche Geisteshaltung hatte wie der mit ihm befreundete Adrian von Bubenberg, der diesen Krieg unbedingt verhindern wollte, auf das grosse Geldangebot des Königs von Frankreich nicht eingehen wollte und deswegen sogar aus dem Rat in Bern ausgestossen wurde. Wertschätzung und Einfluss waren, beim Einsiedler und dem Ritter, gegenseitig. Ihre Friedenspolitik war ein gemeinsames Werk.
  
Das Ansehen des Eremiten erhielt auf dem Feld der Politik seinen Höhepunkt durch das Stanser Verkommnis, 22. Dezember 1481. Wie sollten jedoch ein paar Worte von ihm, verbunden mit dem Gebot der Geheimhaltung, überbracht durch den Pfarrer von Stans eine so grosse Wirkung entfalten? Heute schütteln namhafte Historiker nur den Kopf. Zweifellos wurde das «brüderliche» Zusammenhalten bei der Schlacht von Murten früher auch ab und zu zur Sprache gebracht. Aber die Erinnerung daran verblasste wohl allmählich. Das «Wunder» (im engeren Sinn allerdings kein Wunder) der Einigung in Stans konnte wohl der Eremit nicht allein vollbringen. Was war also wirklich geschehen? Die letzte Szene der Tagsatzung kann man sich psychologisch als Katathyme Imaginative Therapie ausmalen: zwei Gestalten waren zwar nicht physisch anwesend, dafür aber um so stärker virtuell, imaginativ. Die Macht des Imaginativen darf man nicht unterschätzen. Die durch Heimo Amgrund überbrachten, wohl sehr einfachen Worte bekamen erst dadurch ein so immenses Gewicht, wenn sie mit dem Andenken an den Berner Ritter Adrian von Bubenberg in Verbindung gebracht wurden. Den im August 1479 verstorbenen Helden von Murten hatte man doch immer noch sehr gut im Gedächtnis – wenn man darauf angesprochen wurde –, wie er jeweils eindringlich für Frieden und Zusammenhalt votierte und dabei auch manchmal den Namen Klaus von Flüe ins Spiel brachte. Der Ritter war die herausragende eidgenössische Integrationsfigur jener Zeit. Kein anderer der Gesandten genoss ein so grosses Ansehen noch über den Tod hinaus. Was er sagte, war einleuch
­tend und beispielhaft. Zudem sah sich Adrian von Bubenberg in allen Fällen und zu jeder Zeit berufen, in angespannten oder sogar bedrohlichen Situationen sich entschieden für eine Deeskalation einzusetzen. Dazu musste er ausserdem die Fähigkeit eines Analytikers sowie eine Mischung aus gutem Einfühlungsvermögen und Strenge haben. So verschaffte er sich überall ein hohes Ansehen, aber sicher auch den einen oder anderen Feind, der seinerseits von Friedenstiftern allgemein nicht viel hielt. Jahrelang haben wir es hier also mit zwei Friedensstiftern zu tun, der eine hätte ohne den anderen nichts ausrichten können. Es könnte also durchaus sein, dass in der übermittelten geheimen Botschaft an die Gesandten der acht Orte auch ausdrücklich Worte des Ritters dabei waren, die er ge­genüber Bruder Klaus einmal äusserte. Es ging da also gewiss nicht nur um die Meinung des Einsiedlers allein sondern auch um die des zwei Jahre vorher verstorbenen Adrian von Bubenberg. Beide zusammen konnten eine durchbrechende Kraft entfalten, vor allem eben, wenn sich die Gesandten die beiden Abwesenden leibhaftig vor ihnen stehend vor­stellen konnten. – Das gute Verhältnis Berns zum Eremiten im Ranft wird ein Jahr später noch unterstrichen durch die Spende der Stadt für die Ranftstiftung Bruder Klausens, welche der Einsiedler mit dem berühmten Brief verdankt (Quelle 031).
  
Eine Frage ist noch offen: Warum befahl Bruder Klaus, dass die Gesandten der Tagsatzung den Inhalt seiner Vermittlung geheim halten mussten? War es Bescheidenheit, so dass der Eremit nicht zu sehr in den Vordergrund rücken wollte? Eher nicht, das Geheimnisvolle bewirkte vielmehr das Gegenteil. Bruder Klaus war bestimmt nicht auf einen theatralischen Effekt aus, vielmehr hatte er einen echten Grund. Die bis heute herumgebotenen Sprüche sind nur Gerüchte und wirken im Kontext eher etwas femd und hohl, sie sind keineswegs authentisch (von späteren Romanschreibern irrtümlich in diesen Zusammenhang ge
­bracht). Wenn nun die Worte in der Öffentlichkeit bekannt gegeben worden wären, hätte da irgendeine Gefahr bestanden? Wenn die Botschaft den Ritter Adrian von Bubenberg beinhaltet haben sollte, dann hätte es in der Öffentlichkeit Probleme geben können, die der Sache selbst hätten schaden können. Ein übles Gerede hätte aufkommen können, da ja eben noch vor Wochen der apostolische Protonotar (bzw. Abbreviator), Nicolao Garriliati, erklärte, Bubenberg sei exkommuniziert (vgl. Quelle 004). Die Garriliati-Affäre hatte die eidgenössische Politik nachhaltig beeinflussen können. Nach der Diffamierung durch den Kirchenmann wagte bis zur Reformation niemand mehr den Namen des Berner Ritters öffentlich auszusprechen. Nichts desto trotz waren die grossen Verdienste des Adrian von Bubenberg im Gedächtnis der Magistraten nicht mehr zu leugnen. Wenn zudem sein Auftritt im Ranft am 27. April 1469 die Exkommunikation herbeigeführt haben sollte, dann auch nur, weil der Ritter aus Bern dem wehrlosen Einsiedler Bruder Klaus helfen wollte. Doch wie oft geschieht eben genau dies: Ein Mensch will helfen und gerät dadurch selbst in grösste Schwierigkeiten. Ein mutiger Mensch kann aber nicht anders, er hilft.
  
Ein Kirchenbann war es jedenfalls nicht gewesen, der hätte explizit durch den Papst mit einem Dekret (Bulle) festgehalten werden müssen und hätte sofort auch die Reichsacht durch den Kaiser nach sich gezogen. Vielmehr dürfte es sich um eine einfache Exkommunikation als Tatstrafe (automatisch mit der Tat erfolgt, excommunicatio latae sententiae) handeln wegen Gewalt gegen einen Bischof. Zu Lebzeiten zuständig für die Rehabilitierung (Absolution) wäre der Bischof von Lausanne gewesen (Bern und der zweite Wohnort, Spiez, lagen damals im Territorium des Bistums Lausanne). Bis 1472 war der Sitz jedoch vakant, dann folgte, 1472–76, der Neffe von Sixtus IV., Kardinal Giuliano della Rovere, der zweifellos über die schwere Strafe informiert war, aber öffentlich nichts unternahm; Garriliati bekam dann wohl von diesem Kardinal den Hinweis. Der Papstneffe (1503 selbst Papst als Julius II.) war wie Adrian von Bubenberg als Diplomat tätig, zu jener Zeit sogar als päpstlicher Legat in Frankreich. Beide begegneten sich wohl mehrmals, gerade auch in Sachen «Burgund». Charakterlich waren sie allerdings sehr verschieden, ebenso ihre Ansichten über die Friedenspolitik, so dass die gegenseitige Sympathie eher gering war. Zeitlich vorausgehend ist noch bemerkenswert: 1466 wurde Adrian von Bubenberg am Ziel seiner Pilgerreise nach Jerusalem zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen. Souverän des Ritterordens war zu diesem Zeitpunkt Papst Paul II. – den Ritterschlag erteilte jeweils stellvertretend der Guardian der Franziskaner an der Grabeskirche.
  
Für den Tag in Stans ist nun folgendes Szenario denkbar: Monatelang kommt keine Einigung zustande. Im letzten Moment, als die Gesandten bereits aus Stans abreisen wollen, kommt Pfarrer Heimo am Grund mit einer knappen Botschaft von Bruder Klaus. Der Inhalt könnte so gewesen sein: Die Gesandten sollen sich doch einmal vorstellen, was Adrian von Bubenberg zur Sache sagen würde. Der vor 30 Monaten verstorbene Ritter hatte zudem einen Sohn, Adrian II. von Bubenberg, der sogleich nach dem Tod seines Vaters in den Kleinen Rat (Regierung) Berns aufrückte. In Memoria Adrians I. von Bubenberg ändern nun die Gesandten Berns – einer von ihnen war Rudolf von Erlach (1448–1507, gleichgesinnter Freund Adrians I. und ursprünglich ebenfalls gegen den Krieg mit Burgund, später aber dennoch Kommandant der bernischen Entsatztruppe in der Schlacht bei Murten) – ihr Votum und verzichten auf das Burgrecht. Zürich will nicht weiter an einem Prinzip festhalten. Das Burgrecht zwischen Bern, Luzern, Zürich und den später zugewandten Städten wird voll und ganz aufgehoben, ebenso alle sonstigen Sonder
­bündnisse; Bündnisse mit aussenstehenden Städten und Mächten, den «Zugewandten Orten», wie sie jetzt genannt werden, sind für alle bindend; sie werden jeweils von einer Tagsatzung unter Beteiligung der Zugewandten beschlossen. Übrig bleibt vorerst noch das etwas hartnäckigere Luzern. Doch dann kommt Punkt 2: Ein Ort darf sich nicht in die inneren Angelegenheit eines anderen Ortes einmischen. In Erinnerung an den Amstalden-Handel (Quelle 014), in den Obwaldner Ratsherren involviert waren, gewinnt die Neuerung auch Luzerns Zustimmung. Neue Bundesbriefe werden vereinbart. Auch Freiburg und Solothurn sollten einen Bundesbrief erhalten. Innert kurzer Zeit kann alles zu Ende ge­bracht werden. Unter den Luzerner Delegierten befand sich zeitweise auch der Alt­schult­heiss von Luzern, Kaspar von Hertenstein (1469, 1475, 1482 und 1484 Schult­heiss), der eben noch bei der Schlacht von Murten die eidgenössische Nachhut befehligte und der wohl der kompromissloseste Verfechter des Burgrechts war. Zur Delegation Unterwaldens gehörte unter anderen der Obwaldner Landammann Heinrich Bürgler, der früher kaum je auf den Rat des Eremiten im Ranft, seinen Landsmann, gehört hatte und eben noch in den Amstalden-Handel (der eigentlich Stressor für die Uneinigkeit) verwickelt war; er war nicht gerade beliebt bei den Luzern – ebenso Hans Küenegger (Bannerherr), der Jahre später das immer noch geltende Verbot, die Stadt Luzern zu betreten, brach und dafür in Haft gesetzt wurde (1488 und 1490, Quelle 051). Die Obwaldner waren ohnehin lange Zeit die letzten, die Klaus von Flüe nach seinem Ausstieg im Jahre 1467 ernst genommen und auf ihn gehört hatten. Da brauchte es zuerst einen «Friedenstifter» von aussen. Auch Am­mann Bürgler und die anderen drei Delegierten Unterwaldens mussten nun ein Einsehen haben und nachgeben. Die Vertreter der anderen Landorte sahen schliesslich ebenfalls keinen Grund mehr, ihre Zustimmung zum aktuellen Lösungsvorschlag zu versagen.
  
Dass Bern in Sachen «Burgrecht» in Stans am Ende eher eine lockere Haltung zeigte, geht zweifellos auch auf den Herbst 1478, die Zeit des Amstalden-Handels, zurück. Unter der Folter belastete Peter am Stalden den Ritter Adrian von Bubenberg – er war seit Ostern 1478 (22. März) wiederum in Bern Schultheiss –, er habe Bürgler und Küenegger zu deren Verhalten ermuntert (vgl. Quelle 014). Diese Beschuldigung – die höchstwahrscheinlich durch Kaspar von Hertenstein (dem politischen Leader in Luzern und Schlossherr von Buonas am Zugersee sowie Ritter des Königs von Frankreich) manipuliert und provoziert wurde, der dem Berner Leader gegenüber offensichtlich eher etwas feindselige Gedanken hegte und politisch oft ohnehin konträre Ansichten hatte – war allerdings absurd und widersprach der adligen Herkunft des Berners, der eben erst durch das pauschale Burg
­recht auch Bürger von Luzern geworden war, sowie seiner politischen Gesinnung mit dem steten vermittelnden Engagement für Deeskalation. Wer sich stets für Deeskalation be­müht, kann aber bisweilen selbst ein Opfer im Strudel einer Eskalation werden. Trotz ver­ein­bartem Burgrecht blieb das Verhältnis zwischen Bern und Luzern bis dato nicht ganz ungetrübt, weil die Diffamierung seitens der nervös gewordenen Luzerner gegenüber dem in seiner Heimatstadt hoch angesehenen Staatsmann weiterhin in den Köpfen nachwirkte. Die haltlose Unterstellung Luzerns gegenüber Bubenberg dürfte demnach ein weiterer Grund für das Scheitern des Burgrechts am 22. Dezember 1481 gewesen sein. Jedenfalls liess die nie wiederrufene Verunglimpfung Bubenbergs durch den Rat von Luzern Zweifel aufkommen, wie weit das Burgrecht überhaupt sinnvoll ist. Es gab also nicht nur einen Zwist zwischen Luzern und Obwalden sondern auch zwischen Luzern und Bern. Viel hätte nicht gefehlt und Luzern hätte sich unter Kaspar von Hertenstein in die Isolation manö­vriert. Das Stanser Verkommnis hatte wahrlich eine kontextreiche Vorgeschichte.
  
Die Synthese: Vor der Einigung im Stanser Verkommnis gab es einen heftigen Rechts
­streit: auf der einen Seite gab es das Burgrecht der 3 eidgenössischen Städte unterei­nander und mit aussenstehenden, auf der anderen Seite das Landrecht der 5 Orte, Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug sowie dem Bistum Konstanz. Wie musste diese Diskrepanz dem Einsiedler im Ranft, Bruder Klaus, erschienen sein? Er erkannte wohl keinen so grossen Unterschied in der Sache selbst. Vielmehr sah er, wie eigentlich sinnlos auf blossen Prinzipien bestanden wurde, die an sich keine wirklichen Grundlagen hatten. Darum war das Abkommen von Stans kein Kompromiss sondern eine Synthese.
  
Bern hatte nach dem Stanser Tag ein besonderes Verhältnis zu Bruder Klaus, was die grosszügige Spende der Stadt an die Ranftstiftung ein Jahr danach und die darauf fol
­gende Antwort des Einsiedlers eindrücklich beweist (Quelle 031 und Artikel: Der Friede in Gott · Brief an den Rat von Bern). Wichtigster Gesandter an den Tagsatzungen war der Berner Rudolf von Erlach (Mitglied im Kleinen Rat und zeitweise auch Schultheiss), der im Stanser Streit den Weg zur Einigung bereitete. Er erwies sich dadurch als Frieden stiften­der Politiker. Zugleich war er auch der exponierteste Gegenspieler des römischen Pro­to­notars (Abbreviators), Nicolao Garriliati, der das Kloster Rüeggisberg 1480/81 als Geld­einahmequelle (Pfründe) beanspruchte. Rudolf von Erlach war damals zeitweise Kastvogt des Priorats, als Beauftragter des Kleinen Rates der Stadt Bern, welche das Recht zur Ver­gabe der Pfründe hatte. Nachdem der Rat den Anspruch Garriliatis ablehnte, diffamierte der Kleriker aus Rom Adrian von Bubenberg in schlimmster Weise und wies auf eine an­geb­liche Exkommunikation hin, ohne hierfür jedoch ein Schriftstück aus Rom mit dem Siegel des Papstes, Sixtus IV., vorzuweisen (wäre bei einer offenen Exkommunikation, einem Kirchenbann, notwendig gewesen; als Beamter der Kurie verfasste Garriliati ansonsten derartige päpstliche Bullen). Der Vorfall wirkte noch einige Monate lang nachhaltig und deprimierend, so dass sich kaum jemand mehr traute den Namen des Berner Ritters öffentlich auszusprechen – auch der Einsiedler Klaus nicht. Das bedeutet, dass die Ver­bin­dungslinie von Bruder Klaus zu Rudolf von Erlach den Umschwung herbeiführte; dieser Berner war der Friedenstifter vor Ort, bei dem die geheimen Worte des Frienstifters im Ranft wirksam angekommen waren, indem der Eremit höchst­wahrscheinlich eben den kürzlich verstorbenen Friedenstifter thematisierte, Adrian von Bubenberg.
  
* «Saubannerzug» 1477: Der «Saubannerzug» basierte auf Missverständnissen und Desin­forma­tion. Er richtete sich pauschal gegen Savoyen. Zu einem grossen Teil ist man sich sogar heute immer noch nicht recht bewusst, welche Rolle Savoyen in den Burgunderkriegen wirklich spielte. Grosse Teile der heutigen Waadt und des Kantons Freiburg wurden damals von Jakob von Savoyen, Graf von Romont, beherrscht. Er war der Onkel des noch unmündigen Herzogs Philibert. An dessen Statt regierte dessen Mutter, Jolanthe (Jolande), Schwester von König Ludwig XI. von Frankreich. Der Schwager der Regentin, eben Jakob v. S., widersetzte sich den Anordnungen Jolanthes und ver­bün­dete sich mit Karl dem Kühnen von Burgund. Er befehligte ein grosses Heer aus Lombar­di­schen Söldnern und zog damit gegen Murten (Mai/Juni 1476). Die reguläre Staatsmacht, Jolanthe (sie starb 1478), war nun aber bereits mit Bern verbündet. Adrian von Bubenberg, der gute Bezie­hun­gen zum savoy­ischen Adel hatte, bekam von der Regentin eine reguläre Truppe, die mit der Fahne Savoyens (wie es eine Abbildung in der Berner Chronik des Diepold Schilling zeigt) unter seinem Kommando in Richtung Murten marschierte, um bei der Verteidigung der Stadt gegen den rebelli­schen Grafen Jakob v. S. und dessen Dienstherrn, Karl d. Kühnen, zu verteidigen. – Nach den Nie­der­lagen Bur­gunds verlor Jakob v. S. sämtliche Besitztümer, er begab sich nun in die Dienste der Habs­bur­ger (Friedrich III. und Maximilian sowie dessen Ehefrau, Maria von Burgund). Es wurde nun ver­han­delt zwischen den Eidgenossen, vor allem Bern, und dem Herzogtum Savoyen über die Rückgabe der besetzten Gebiete Jakobs. v. S. an das Herzogtum. – Für die Menschen von damals war es sehr schwer, bezüglich des innerlich zerstrittenen Herzogtums Savoyen einen rechten Über­blick zu haben. Der Pöbel mit dem Schweinebanner war offensichtlich völlig desin­formiert und wollte die falsche Seite treffen. In Genf war damals Peter von Savoyen Fürstbischof, ebenfalls Onkel des unmündigen Herzogs Philibert (ab 1478 dessen Vormund). Urgrossvater und einer der Vorgänger von Herzog Philibert war Amadeus VIII., Graf von Savoyen (noch ohne Herzogtitel) und ebenfalls Bischof von Genf, dieser war auch der letzte Gegenpast, Felix V. (1439 durch das Konzil von Basel gewählt).
  
  
Weiteres an Text und Kommentar finden Sie im Quellenwerk, Nr. 024
  
Korrespondenz mit dem Rat von Bern
  
Bruder Klaus und Ritter Adrian von Bubenberg
   
  
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Bruder Klaus · Nikolaus von Flüe · Flüeli-Ranft · Schweiz
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